DITA & Deutschland

Leider war ich in diesem Jahr nur am 2. Tag auf der tekom-Tagung und habe so die beiden Sessions verpasst, die sich eher kritisch mit DITA auseinander setzten oder wie Sarah O’Keefe sie zusammenfasste: DITA is bad. Die Tweets dazu waren sehr unterhaltsam und ich hätte die Diskussionen gerne live erlebt.

Es hat sich hier wieder der Eindruck manifestiert, dass Deutschland ziemlich DITA-feindlich ist.


Und das alles hat mich einmal zu einer kleinen Bestandsaufnahme inspiriert, die mir schon lange im Kopf herumschwirrt. (Und ja, ich hab schon ein bisschen überlegt, ob ich nach der ganzen Aufregung auf Twitter jetzt wirklich noch was dazu schreibe. Aber hey, wenn ich schon in den Blog-Flow komme, sollte ich besser nicht aufhören).

Die Verbreitung in Deutschland

Ich beobachte den deutschen Stellenmarkt seit gut 10 Jahren und seit ein paar Jahren auch den Projektmarkt, und tatsächlich kann ich DITA-Projekte oder Stellenausschreibungen, die DITA-Kenntnisse forderten, an einer Hand abzählen. Kleiner Hinweis: Man ist also zeitweise sehr gefragt, wenn man sich hierauf spezialisieren will, oder über lange Strecken gar nicht 😉

Meine Erfahrung deckt sich ganz gut mit dieser Grafik von Keith Schengili-Roberts.

Wie kommt das? Warum ist DITA in den USA so durchgestartet und hier in Deutschland (noch) nicht? Ich persönlich glaube nicht, dass es daran liegt, dass DITA in irgendeiner Weise schlecht wäre oder es hier total viel bessere Lösungen gäbe. Es gibt nie nur eine Lösung.

DITA – Alter Wein in neuen Schläuchen?

Soweit ich das beurteilen können arbeiten hier viele Unternehmen schon länger XML-basiert als es DITA gibt und dementsprechend haben sie schon eigene Standards und Prozesse. CMS-Hersteller haben entsprechende Lösungen entwickelt. Was also den Bereich Standardisierung/Modularisierung angeht, ist DITA hier erst einmal nichts Neues. Ist es also die Ablehnung nach dem Motto: „Alter Hut, machen wir schon viel länger.“ ? Das alleine kann es nicht sein, denn es gibt immer noch genug Firmen, die völlig unstandardisiert arbeiten und für die DITA genau das Richtige wäre.

Alles eine Frage der Kultur?

Sind die Deutschen vielleicht zu zögerlich? Ich kann mir gut vorstellen, dass das ein Faktor ist.  Gerade in den Branchen Maschinenbau/Elektrotechnik, die um xml-basiertes Arbeiten kaum drumherum kommen, ist man doch generell etwas vorsichtiger und konservativer. Man traut einem relativ neuen Standard vielleicht nicht so sehr (was sind in dem Bereich ganz ernsthaft schon 10 Jahre?) und verlässt sich lieber auf etablierte CMSe , weil das die vermeintlich sichere Schiene ist (Nur um es gesagt zu haben: ich hab nix gegen CMSe!).

Und was ist dann mit der IT-Branche, die in Deutschland doch auch wahnsinnig wächst? An dieser Stelle bin ich etwas ratlos. Es gibt einige große Unternehmen, die DITA einsetzen, aber insgesamt ist auch hier DITA kein großes Thema.  Ist es so, dass die Doku hier noch weiter unten priorisiert wird, weil man nicht so starken rechtlichen Druck hat und deswegen „irgendwie“ arbeitet? Braucht man XML in der SW-Doku generell nicht so sehr? Was meint ihr?

DITA, der Hammer und der Nagel, oder so

Das muss ich noch kurz erwähnen: Obwohl ich ja schon ziemlich überzeugt bin von DITA, setze ich es auch nur da ein, wo es Sinn macht. Als Beraterin im Bereich TD ist es die Aufgabe herauszufinden, was der spezielle Kunde wirklich braucht. Und das eben nicht nach dem Motto: „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.“ Berater und Firmen in allen Branchen arbeiten vielleicht oft so, aber das ist ein ganz anderes Thema. Auf jeden Fall fand ich das Zitat aus der gestrigen Session von Uwe Reißenweber (bitte beachten: von der DERCOM, dem Verband dt. CMS-Hersteller) wirklich großartig in seiner Ironie:

Hey, es gibt immer mehr als eine Lösung  und in diesem Sinne:

9 Gedanken zu „DITA & Deutschland“

  1. Hi Marijana,
    danke für den schönen Artikel 😉
    Ich finde es ja einerseits erfreulich, dass es auch mal wieder emotional geführte, kontroverse Themen gibt – zu viel Harmonie ist ja auch lähmend.
    Andererseits bin ich dann doch überrascht, dass man sich so ausführlich über Tool/Standard/Technologie streiten kann – ist ja am Ende eben noch NICHT die Lösung, sondern nur ein (Hilfs)Mittel zum Zweck.
    Das teutonische Beharren auf manchen CMSsen kann ich allerdings teilweise nachvollziehen: wir alle kennen die Anschaffungskosten für die Systeme – von Kosten für Schulung und Anpassung möchte ich gar nicht anfangen. Das muss sich ja irgendwie auch rentiert haben – da ist wahrscheinlich auch psychologisch noch so ein bisschen Angst dabei, sich womöglich „verkauft“ zu haben – die berühmte buyer´s remorse….
    Auf jeden Fall hätte ich im Vorfeld nicht damit gerechnet, dass sich da so eine Art transatlantischer
    DITA-Graben auftut – und das bildet nach meinem Gefühl auch nicht die hiesige Stimmungslage korrekt ab.
    Musst du halt nächstes Jahr mal wieder einen deutschen Pro-DITA-Vortrag halten! 😉

    Grüße,
    Axel

  2. Schöner Artikel, vielen Dank, viele meiner Gedanken tauchen hier schon auf (kann ich mir den eigenen Blogpost ja sparen 😉

    Ich fand die Kontroverse DITA gegen CMS auch sehr spannend, zumal das für mich keine Entweder-Oder-Frage ist. Es kommt halt auf die Anforderungen an. Wenn es um Einsatzszenarien bei Kunden geht, die Software-Doku machen und kein CMS brauchen, dann ist DITA eine gute Wahl. Und in diesem Fall empfehlen wir es auch. In anderen Fällen brauchen die Kunden ein CMS und dann sollten sie diesen Hammer wählen. Eine dritte Möglichkeit ist, DITA als Austauschformat zu benutzen, z.B. um Daten aus der Entwicklung strukturiert weiterzuverwenden. Auch hier ist DITA gut geeignet, man kann aber auch andere XML-Dialekte nutzen.

    Es führen viele Wege nach Rom. Es gibt kein Schwarz oder Weiß. Und das hat man auf der tekom leider nicht so gehört.

    Grüße
    Ulrike Parson

  3. Wie so oft ist das wahre Thema technisch viel anspruchsvoller, als die vorgründigen Emotionen vermuten lassen. Man sollte unterscheiden:
    – DITA als Konzept-Architektur Topics, Topic-Types
    – DITA als XML-Struktur (DTD)
    – DITA als Systemarchitektur d.h. neben der DTD:
    — Linkmanagement, Relationship Tables
    — Informationsprodukt (DITA-Map)
    — Variantenmanagment ditval
    — Outputausgabe (z. B. DITA-OT)
    — Wiederverwendung z. B. conref
    — Spezialisierung, Generalisierung, Domains (u.a. auch learning domain).
    Welches System deckt das alles ab, inklusive der zusätzlichen Workflow-Funktionalitäten, bei denen ich die deutschen Hersteller (auch ohne DITA-Implementierung) als führend sehe?
    Zunächst sollte man sich als „DITA-Konzeptionalist“ oder „Syntaxianer“ (nettes Feedback von Herrn Freisler Schema)outen.
    Ich bin z. B. seit langem DITA-Fan als Konzeptionalist: Der Topic-Begriff und die Topic-Types-sind konzeptionell gut und wirklich Common Sense (bloß, dass viele, auch die DITA-Erfinder selbst, über die konkreten Ergonomie-Aspekte der Topic-Types aus Sicht eines Autoren und eines Anwenders viel zu wenig nachgedacht haben). Die DITA-Topic-Types sind bewusst einfacher als bei Information Mapping und damit besser operationalisierbar! Seit DITA kann ich einfacher und mit viel mehr Personen sinnvoll über moderne Informationsarchitekturen jenseits von Papier diskutieren.
    Die Ideologie des Purismus und damit der „Frankenbookisierung“ http://everypageispageone.com/2012/02/24/frankenbooks-must-die-a-rant/ der Informationen ist dagegen schlecht und macht deutlich, dass neben Technologiewissen auch Usability-Know-how für eine Bewertung vorhanden sein sollte (und dass man den Unterschied zwischen Modul und Topic kennen sollte)
    Moderne Redaktionssysteme haben diese Denkweise (Informationseinheiten – Topics) und Organisations-/Navigationsstruktur des Informationsprodukts schon lange umgesetzt. Ganz moderne Systeme erweitern das Konzept um beliebige Medien.
    Was ist nun schlecht an DITA? Nun ja „viele Köche“ und die ursprünglich zu sehr an HTML angelehnte Konzeption können den „Brei“ durchaus „verwässern“ (Beispiel: Listenkonzept ohne einführenden Satz). Die durch Ziegler bekannt gemachte (aber bei guten Beratern schon lange existierende PI-Klassifikation, der wiederum jedoch die DITA-Topic-Typisierung selbst echt fehlt!) ist in dem „zu“ generischen DITA-Modell nicht enthalten, aber wohl hineinspezialisierbar.
    Eine grundsätzliche Ausrichtung an dem DITA-Topic-Konzept halte ich bereits als Trainer für Technische Dokumentation für unabdingbar, aber ich bin nicht der „Syntaxianer“, der in einem Redaktionssystem die identischen Elementbezeichner als Musskriterien sieht.
    Die wirklichen Musskriterien der Funktionalität eines Redaktionssystems sind weitgehend unabhängig von DITA definierbar. Für einen Austausch sollte zumindest ein Ausgabekanal nach DITA definierbar sein.
    Die deutschen Redaktionssysteme waren mit Blick auf USA der Zeit weit voraus, was die Dokumentations-Prozesse anbelangt. Viele Jahre wurde dafür von den deutschen Herstellern die reine Elementarchitektur wenig thematisiert und jeder baute um seine eigene DTD (O-Ton vor 10 Jahren „von uns mal so angedacht können wir mit dem Kunden individuell vereinbaren“) die Systemlösung herum.
    Software-Dokumentation ohne intelligente Links zum Software-Entwicklungssystem kann man ja mit mehr oder weniger Not auch gleich in HTML bauen.
    Schema (deren Konzept schon DITA-ähnlich ist) könnte man jedoch z. B. fragen: Angenommen Eure Lösung wäre ab 2015 in der internen Architektur mit DITA 1.2/3 implementiert. Welche prinzipiellen funktionalen Nachteile müsste ich dann in Kauf nehmen? Ich sehe keine, sehe aber auch kurzfristig keine Vorteil bei der konkreten Arbeit, sondern nur langfristig Vorteile, weil ein Weltstandard einen Hersteller und einen konkreten Anwender wohl überlebt. Aber eine DITA-Systemlösung mit hunderten Mannjahren Entwicklungszeit wird trotzdem niemals konvertierbar sein in eine andere DITA-Systemlösung.
    Die heutigen Hersteller ohne DIUTA hätten für eine komplette DITA-Lösung (also nicht nur die Umsetzung der DITA-XML-Elemente) sicher einen sehr großen grundsätzlichen Implementierungsaufwand – wie soll man das kommerziell verrechenbar machen? Das bedeutet aber andererseits auch nicht, dass ein existierendes DITA-Redaktionssystem automatisch schlechter sein muss.

    Wer jedoch ohne datenbankbasiertes Redaktionssystem eine Dokumentationslösung jenseits von Word anstrebt, dem empfehle ich natürlich zumindest die grobe Ausrichtung an DITA. Gute esoterische Lösungen sterben vermutlich für den Anwender schmerzhafter aus, als andere (Beispiel Interleaf/Quicksilver).

    Fazit DITA ist als Konzept eine wichtige Messlatte, ob man unbedingt DITA-Syntaxianer sein muss, das sehe ich (noch) nicht als nötig an.
    Dieter Gust

  4. Vielen Dank für diese Perspektive! Ich muss sagen, in erster Linie bin ich auch Konzeptionalistin und habe das DITA-Konzept auch schon genutzt, um in anderen System/Autorenumgebungen zu arbeiten. Gerne auch kombiniert mit ein bisschen Funktionsdesign.

    Ein Riesen-Fan der Syntax bin ich auch nicht überall – da gibt es viel, was nicht ganz einleuchtend oder praxisorientiert ist. Das ist unbestritten.

    Was mich trotzdem am DITA-Gesamtpaket überzeugt, ist die Tatsache, dass es eben ein Gesamtpaket ist. Wenn meine Uses cases den Einsatz rechtfertigen, habe ich direkt schon so ziemlich alles da, um einfach loszulegen. Auch um einfach mal auszuprobieren, ob das mit diesem XML was für mich ist. Die Wissensbasis in diesem Bereich ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, so dass man als Anfänger auf einen reichhaltigen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann. Ich kann mit verschiedenen Tools damit arbeiten, kann auf Dateisystemebene starten und, wenn es sich als nötig erweist, auch irgendwann auf ein CMS umsteigen.

  5. Geht es um „DITA & Deutschland“ oder um „DITA & Tekom“?
    Tekom hat mit dem selbstgemachten „Funktionsdesign“ schönes Geld verdient. Da DITA „open-source“ ist kann man weniger Geld damit machen. Daher weniger Interesse.

    Da Schema mit ca. 25 Erscheinungen/Präsentationen bei Tekom 2015 vertreten war, soll man das schöne Bild nicht zerbrechen.

    DITA ist aber in Deutschland gut vertreten: SAP, Volkswagen, Crown, AGCO/Fendt, etc. und es klappt (ohne Schema, selbstverständlich)

  6. Danke für den Kommentar! Es geht definitiv um „DITA & Deutschland“. Ich weiß, dass es schon einige große Unternehmen hier gibt, die auf DITA setzen. Aber es ist meiner Meinung nach (noch) die große Masse. Wie schon gesagt, spielt DITA als Skill z.B. ganz selten eine Rolle bei Stellenausschreibungen. Umgekehrt haben einige Firmen auch große Probleme DITA-Spezialisten zu finden.

    Was die Rolle der tekom anbelangt: Im letzten Jahr gab es einen kompletten DITA-Track auf der Jahrestagung, was mich z.B. völlig überrascht hat. Ich sehe da seitens der tekom jetzt keinen Willen DITA ausbremsen zu wollen.

  7. @Marie
    >Tekom hat mit dem selbstgemachten “Funktionsdesign” schönes Geld verdient.
    Tja wirkt zwar so, aber das Funktionsdesign ist ein „privates“ Warenzeichen und hat nichts mit tekom zu tun (auch wenn tekom manchmal unglücklich selbst für so einen Nähe sorgt). Funktionsdesign ist auch nach meiner Überzeugung und auch im Selbstverständnis der Methode bestens geeignet, DITA einzuführen! Da verstehen leider einige (auch die Autoren des tekom Kennzahlen-Dokuments) etwas total falsch.

    >Da DITA “open-source” ist kann man weniger Geld damit machen. Daher weniger Interesse.

    Aus meiner Sicht in der Diskussion auch der deutschen „Fach-Öffentlichkeit“ eine falsche Interpretation. Redaktionssystemhersteller haben nicht unbedingt automatisch ein Interesse an DITA. Aber ich empfehle zur weiteren Bewertung die Unterlage von Herrn Kreutzer, empolis: http://tagungen.tekom.de/fileadmin/tx_doccon/slides/996__Be_pragmatic_not_dogmatic_DITA_und_CCMS_Best_Practice_Beispiele.pdf.

    Außerdem es geht nicht um Religion, sondern um den besten Return on Investment für Kundenanforderungen. Da fallen selbst bei mir als Berater die Beratungs-Ergebnisse z.T. sehr individuell aus…

    Leider zeigt sich nach der tekom 2015 ein typisches „Twitter-Syndrom“. Wer glaubt, Technologien auf „Twitter-Niveau“ ernsthaft diskutieren zu können, der irrt.

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