tekom Frühjahrstagung 2012 – Experience Design

So, bevor ich in mein wohlverdientes Wochenende bei 26°C entschwinde, hier noch schnell die ersten Eindrücke, so lange sie noch frisch sind 😉

Ich war bisher noch auf keiner Frühjahrstagung, aber da sie diesmal in meiner schönen Heimatstadt Karlsruhe stattfand, gab es keine Ausrede. Erster Eindruck: sehr familiär im Vergleich zur riesigen Jahrestagung. Die Frühjahrstagung ist einige Nummern kleiner. Den bleibendsten Eindruck des ersten Tages hat die Keynote gemacht:

Marc Hassenzahl „Freude durch Technik? Vom Vermeiden von Problemen zum freudvollen Erlebnis“ 

Die Tagung begann mit einem „Exoten“ unter all den  Redakteuren, wie er sich selbst nannte: Marc Hassenzahl, Psychologe und Professor  im Industrial Design an der Folkwang Universität der Künste in Essen.

Die Keynote hat mir sehr gut gefallen: es dreht sich rund um das Gestalten von Erlebnissen. Die zentrale Erkenntnis ist, dass in der heutigen Gesellschaft kein besitzorientiertes Denken mehr herrscht („Ich bin so toll, ich fahre nen Mercedes.“), sondern dass Erlebnisse in den Vordergrund rücken („Ich habe den Yeti am Mount Everest gesehen.“). Wir wollen also ein Produkt, das Spaß macht, uns positive Erlebnisse verschafft. Die wahnwitzigsten und ausgefeiltesten Funktionen helfen nicht, wenn das Ding keinen Spaß macht! Als Beispiel für ein gelungenes erlebnisorientiertes Produkt nannte Hassenzahl u.a. das Wake-Up Light von Philipps, das einen sanft mit immer heller werdendem Licht weckt. Es sei kein besonders hübsch designtes Produkt und auch die Funktion wäre im Endeffekt nur eine Zeitschaltuhr mit Glühbirne – aber es verschafft dem Benutzer ein gutes Erlebnis, wenn er jeden Morgen sanft davon geweckt wird. Und das kann ich auch aus ganz eigener Erfahrung bestätigen 🙂

Im Fokus der Produktentwicklung muss also eigentlich erst die Erlebnisentwicklung stehen: man muss sich überlegen, was für ein Erlebnis man schaffen will und dann das zugehörige Produkt bzw. dessen Funktionen designen. Plakativ gesagt: Form follows fun.

Ich fand diesen nicht direkt redaktionsbezogenen Vortrag sehr erfrischend – und  exotisch war er für die Welt der technischen Redakteure ganz uns gar nicht. Das hätte ich Marc Hassenzahl noch gerne gesagt 🙂  Schließlich sind wir ja federführend an der Erstellung von Produkten beteiligt, und zwar: Informationsprodukten. Diese gehören zum eigentlichen Produkt und müssen genauso Teil eines positiven Produkterlebnisses sein. Der Vortrag hat auf jeden Fall Spaß gemacht und mir einige neue Perspektiven gezeigt. Gerne mehr davon!

 


 

4 Gedanken zu „tekom Frühjahrstagung 2012 – Experience Design“

  1. Ich kann dem nur zustimmen.
    Für mich habe ich noch eine andere, auf meinen Job bezogene, Erkenntnis mitnehmen können. Es heht nicht immer nur um die Technik und deren Optimierung sondern soll immernoch Spass machen.
    Je stärker die Standardisierung fortschreitet und die Regeln unseren Redaktionsalltag bestimmen – je mehr kann auch der Spass an der Arbeit verloren gehen. Oder habt ihr Spass in euren Redaktionssystemen und Leitfäden?

    Wie war das ncoh mit den Supermodels zum halben Preis von der Optimierung des Schienennetzes? Das hat mich ein wenig wachgerüttelt.

    Gruss, docXter, der ein sein iPad auch einfach nur erlebt ohne auf die Technik zu achten, keine Ahnung was fürn Prozessor es hat oder wie gross des Display ist.

  2. Danke, Mirko, für diesen sehr guten Kommentar! Spaß mit dem Redaktionssystem und dem Leitfaden? Ich glaube damit würde man in großer Runde auch erst mal ein paar Lacher ernten – eigentlich schade!

  3. Danke, Redakteuse – es geht nix über gescheite Blogposts, wenn man selbst nicht auf einer Konferenz sein konnte!

    Zu den „gestalteten Erlebnissen“. Vielleicht liegt es am Beruf von Marc Hassenzahl, dass er sich so auf Produkte kapriziert. Dabei ist es doch gerade der Gag von Erlebnissen, dass sie den Unterschied von Produkten und Services einebnen. Darüber schrieb Jeremy Rifkin im Jahr 2000 in „The Age Of Access: The New Culture of Hypercapitalism, Where All of Life is a Paid-For Experience“. Und Apple macht es uns praktisch vor, wenn wir nicht merken (sollen), wo das i-Produkt (mit Einmalumsatz für Apple) aufhört und der i-Service (mit ständigem Umsatzstrom) anfängt.

    Für uns technische Redakteure ist das zum Glück gar kein Problem, im Gegenteil: Mit unserer Task-Orientierung sind wir bestens darauf vorbereitet, Erlebnisse prozessual zu beschreiben, ob wir eine Anleitung für den Mercedes texten oder beschreiben, wie man den Mt. Everest hinauf zum Yeti kommt.

    (Übrigens kommt man von Access auch ganz schnell zur Accessibility, also der Barrierefreiheit, einer Design-Disziplin und Tugend, die wie die technische Redaktion auch Teil der User Experience ist.)

    Auch beim Spaß klingt es, als sei die Keynote auf einem Auge blind gewesen: Spaß ist ja nicht nur Kick („Boah, ey, der Yeti!“), sondern auch Flow, eine autonome Funktionslust zwischen Überforderung und Unterforderung. Und so einen Flow kann der geneigte Redakteur z.B. auch beim Schreiben eines Leitfadens erleben – solange denn das Redaktionssytem nicht im Weg ist. 🙂

  4. Und es geht ja nix über gescheite Kommentare 🙂

    In einem Punkt muss ich mich selbst noch berichtigen. Das hab ich nicht ganz richtig rübergebracht, wie gerade gemerkt habe: Es ging nicht nur um Spaß als Kick, sondern auch Spaß als ständig begleitendes Element – das was du den Flow nennst.

    Dabei fällt mir ein: es wäre schön gewesen, wenn Hassenzahl versucht hätte eine Brücke zur TR zu schlagen. Aber ich fürchte, ihm war das Umfeld einfach zu unbekannt.

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